Für Ornithologen aber auch Naturbeobachter gehört ein gutes Fernglas zur Grundausrüstung. Gerade bei der Vogelbeobachtung reicht ein Fernglas alleine aber oftmals nicht aus. Einige Arten sind nur schwer zu Unterscheiden und die gängige 8 bzw. 10-fache Vergrößerung bei Ferngläsern liefert uns bei scheuen oder weiter entfernten Tieren dann nicht die nötige Detailauflösung, um die Tiere sicher bestimmen zu können. Hier kommen dann
Spektive ins Spiel.
Spektive sind
Fernrohre speziell für die Naturbeobachtung und liefern deutlich höhere Vergrößerungen als Ferngläser.
Die meisten
Spektive haben relativ große Objektivdurchmesser von 80 Millimetern und mehr, sind dadurch sehr lichtstark und liefern viele Details. Diese "großen"
Spektive haben aber einen deutlichen Nachteil. Sie sind sperrig und nicht ganz leicht. Zusätzlich benötigt man für ein großes
Spektiv auch ein entsprechend stabiles Stativ, welches das
Spektiv sicher halten kann. Zusammen mit Fernglas, Bestimmungsbüchern, Proviant und evtl. noch Kamera kommt somit einiges an Gewicht zusammen, wenn man in der Natur unterwegs ist. Als junger Mann war dies alles noch kein Problem für mich, aber mittlerweile lasse ich mein großes
Spektiv immer öfter aus Gewichtsgründen zu Hause. So auch dieses Jahr beim DDA Birdrace, an welchem ich mit meinen
Kindern teilgenommen habe. Sicherlich sind uns somit einige Arten verborgen geblieben. Wie gut hätten wir da ein kleines, handliches
Spektiv brauchen können.
Das Kowa TSN-55A Prominar zeichnet sich durch seine geringe Größe und Kompaktheit aus, ohne dabei Kompromisse in der optischen Qualität einzugehen.
Ein solches
Spektiv hat
Kowa jetzt auf den Markt gebracht, das
Kowa TSN-55 Prominar. Es soll trotz sehr kompakter Abmessungen und einem Objektivdurchmesser von nur 55mm eine extrem gute Detailauflösung liefern. Zu Testzwecken hat
Kowa mir ein Testmuster des TSN-55A zukommen lassen. Wie es sich in der Praxis geschlagen hat, dazu gleich mehr. Kommen wir zunächst einmal zu den technischen Daten des
Spektivs.
Technische Daten zum Kowa TSN-55A Prominar
Das
Kowa TSN-55 Prominar gibt es in zwei Ausführungen. Das
Kowa TSN-55A Prominar hat einen Schrägeinblick, das
Kowa TSN-55S Prominar einen Geradeinblick. Die Objektivlinse hat einen Durchmesser von 55 Millimetern und ist aus reinem Fluorit-Kristall gefertigt. Fluorit-Kristall bricht das Licht gleichmäßiger als Glas, dies sorgt für ein sehr detailreiches und farbsaumfreies Bild. Die Naheinstellgrenze des
Kowa liegt bei nur 2,8 Metern. Das
Spektiv ist mit einem fest eingebautem 17-40x Zoom ausgestattet (mit ED-Linsen). Die Fokussierung erfolgt über ein Dual-Fokus-System, zwei aufeinander sitzende Fokussierwalzen mit unterschiedlicher Übersetzung. Die große Walze sorgt für eine schnelle Fokussierung, und über die Kleine kann bei Bedarf eine Feinfokussierung vorgenommen werden.
Das
Kowa TSN-55A Prominar ist 255mm lang bei einem Gewicht von 965g, das
Kowa TSN-55S Prominar 275mm bei 960g.
Die optische Qualität des Kowa TSN-55A Prominar
Seit vielen Jahren verwende ich ein
Kowa 10,5 x 44 Prominar Fernglas und ein altes
Kowa TSN-884 Prominar
Spektiv bei der Naturbeobachtung und bin immer noch begeistert von der optischen Qualität dieser Geräte. Somit waren meine Erwartungen an das neue
Kowa TSN-55A auch dementsprechend hoch, was die optische Qualität des
Spektivs anbelangt. Und bereits beim ersten Blick durch das
Spektiv merkte ich, dass ich hier etwas ganz Besonderes in Händen hielt. Die Brillanz des Bildes war atemberaubend. Zuerst beobachtete ich die
Vögel an unserer Futterstelle im Park. Jedes kleinste Gefiederdetail war zu erkennen. Beim Beobachten gegen den Himmel traten keine Farbsäume auf, die Objektivlinse aus purem Fluoritkristall sorgt hier für ein perfektes Bild. Im Gegensatz zu Glaslinsen zeichnet sich eine Fluoritlinse durch eine extrem geringe Dispersion aus. Das Licht wird - vereinfacht gesagt - gleichmäßiger über den sichtbaren Wellenlängenbereich gebrochen. Und das sieht man, Auflösung und Kontrast sind extrem gut. Ein Abfall der
Bildschärfe hin zum Rand ist mit bloßem Auge für mich bei 17-facher Vergrößerung nicht wahrzunehmen, selbst bei 40-facher Vergrößerung schlägt es sich in dieser Disziplin noch sehr gut.
Ob ein
Spektiv mit einem derart kleinen Objektivdurchmesser sogar fürs
Digiscoping geeignet sein sollte? Kann ein
Spektiv in dieser Größe überhaupt genügend Details liefern? Hier war ich zunächst etwas skeptisch. Zuerst probierte ich das
Spektiv unter kontrollierten, idealen Bedingungen an einem Präparat aus. Ich verwendete eine
Nikon Z fc (
APS-C) und ein 50mm
Objektiv, so dass ich bei 17-facher Vergrößerung am
Okular eine resultierende Brennweite von ca. 1275mm (Kleinbild) erreichte. Die Ergebnisse zeigten eine Fülle an Details, viel mehr, als ich bei einem 55mm
Spektiv erwartet hatte. Ich entschloss mich, die Kombination auch in schlechtem Licht im Wald an einem Eisvogelbach auszuprobieren.
Dieser Eisvogel wurde mit einer Nikon Z fc, einem 50mm Objektiv und dem Kowa TSN-55A Prominar aufgenommen. Die Schärfe und der Detailreichtum sind beeindruckend. Die Aufnahme wurde lediglich in Photoshop mit der Unschärfemaske nachgeschärft und per DXO entrauscht. Eine KI-gestützte Nachschärfung war nicht notwendig.
Auch im Wald unter sehr schlechten Lichtbedingungen waren die Ergebnisse beeindruckend. Der
Eisvogel durfte sich allerdings nicht bewegen, denn die
Verschlusszeiten waren selbst bei relativ hohen ISO-Werten kaum kürzer 1/100s, meist sogar deutlich länger. Solch lange Belichtungszeiten führen dann häufig zu Bewegungsunschärfen im Bild, wenn sich das Motiv nicht ganz ruhig verhält. Aber auch Verwacklungen durch Wind oder durch das Drücken des Auslösers können bei langen Belichtungszeiten die
Bildschärfe beeinträchtigen.
Eisvogelweibchen mit Flusskrebs. Leider im Original etwas verwackelt, da nur eine Belichtungszeit von 1/60s möglich war. Mit Hilfe von Topaz Sharpen AI konnte die Bewegungsunschärfe aber nahezu vollständig eliminiert werden.
Die Auflösung des
Spektivs ist also trotz des geringen Objektivdurchmessers so extrem gut, dass es problemlos auch fürs
Digiscoping oder Phonescoping verwendet werden kann. Es sind damit sogar Ergebnisse möglich, die großformatig ausgedruckt werden könnten. Bisher kannte ich so etwas nur von den "Lichtriesen" unter den
Spektiven.
Wie alle Kowa-Spektive hat auch das TSN-55 Prominar eine äußerst neutrale Farbwiedergabe. Dies ist nicht nur beim
Digiscoping von Vorteil, da die Bilder diesbezüglich kaum nachbearbeitet werden müssen, sondern auch bei der Bestimmung von
Vögeln, wenn es auf eine exakte Wiedergabe der Gefiederfarben ankommt.
Wie auch schon die lichtstarken Kowa-Spektive der Prominar Reihe, so ist auch das kleine TSN-55A Prominar sehr stark bei Nebel und diesiger Luft. Das kontrastreiche Bild lässt nämlich auch dann noch Vogelbestimmungen zu, wenn bei nahezu allen anderen
Spektiven Brillanz und Auflösung unter diesen Wetterbedingungen nicht ausreichen. Auch dies dürfte auf die Objektivlinse aus purem Fluorit-Kristall zurückzuführen sein, übrigens ein Alleinstellungsmerkmal der Prominar-Spektive von
Kowa.
Bedienung / Haptik
Das kleine
Kowa TSN-55A Prominar (und somit natürlich auch die Geradeinblick-Version, das
Kowa TSN-55S Prominar) ist hervorragend verarbeitet und fühlt sich sehr wertig an. Mit seinen 965g ist es noch angenehm leicht und einer Länge von nur 255mm sehr kurz und somit problemlos auch in kleinen Rucksäcken zu verstauen. Mit dem Dual-Fokussystem lässt sich schnell von nah auf unendlich Fokussieren, ca. 2,5 Umdrehungen sind hierfür nötig. Mit dem kleinen Fokussierrad, welches direkt hinter dem großen Fokussierrad liegt, kann dann, wenn nötig, noch eine Feinfokussierung vorgenommen werden. Es ist somit kein richtiges Umgreifen nötig, der Zeigefinger rutscht (fast schon intuitiv) einfach vom großen auf das kleine Fokussierrad, nachdem dort grob scharfgestellt wurde. Das Einblickverhalten des 17-40x
Okulars empfinde ich als sehr angenehm, bei einem weiten Sehfeld von 64m auf 1000m (bei 17-facher Vergrößerung) konnte ich meine Motive immer schnell und sicher finden, um dann bei Bedarf noch näher heran zu zoomen. Durch die Kompaktheit habe ich das
Spektiv hin und wieder auch freihand verwendet. Bei 17-facher Vergrößerung war es zumindest für mich noch völlig unproblematisch, das
Spektiv ruhig zu halten. Vom Gefühl her scheint mir, dass ich es noch ruhiger halten kann als mein
Kowa 10,5x44 XD Prominar Fernglas; wahrscheinlich durch die unterschiedliche Haltung beider Hände.
Der Stativanschluss bzw. Stativfuß ist fest an der Unterseite des
Spektivs verbaut und nicht über eine Stativschelle drehbar, wie bei den großen Modellen. Leider ist der Stativfuß nicht ArcaSwiss kompatibel (warum nicht?), obwohl er nahezu dieselbe Größe hat. Heißt, ich muss am Stativanschluss immer eine passende ArcaSwiss-kompatible Wechselplatte befestigt haben, um schnell von Freihandbeobachtung auf Stativbeobachtung umzustellen. Ohne Wechselplatte läge das
Spektiv perfekt in der Hand, mit befestigter Wechselplatte dann leider nicht mehr ganz so gut. Dies ist dann allerdings auch schon mein einziger Kritikpunkt an einem ansonsten für mich perfekten
Spektiv.
Eines möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen : Auch wenn das kleine
Kowa TSN-55A Prominar wohl hauptsächlich als leichtes Profi-Reisespektiv gedacht ist, so dürfte es für die allermeisten Situationen im alltäglichen Gebrauch genauso geeignet sein - außer für die Dämmerung vielleicht. Zudem ist man geneigter, es auch wirklich mit sich zu führen, aufgrund der geringen Abmessungen und des Gewichtes. Denn das beste und lichtstärkste
Spektiv nützt nichts, wenn es zuhause in der Vitrine liegen bleibt.
Fazit :
Mit dem
Kowa TSN-55A Prominar hat
Kowa mal wieder ein Meisterstück entwickelt. Eine Objektivlinse aus purem Fluoritkristall sorgt für ein extrem brillantes und detailreiches Bild, gänzlich ohne störende Farbsäume in schwierigen Lichtsituationen. Zudem ist es sehr kompakt und leicht und kann somit problemlos selbst in einem kleinen Rucksack Platz finden. Die Verarbeitung ist sehr gut, wie auch das Einblickverhalten. Das
Kowa liegt zudem so gut in der Hand, dass es auch freihand verwendet werden kann.
Selbst für das
Digiscoping oder Phonescoping ist das TSN-55A sehr gut geeignet, die Auflösung des
Spektivs reicht ohne Probleme sogar für Aufnahmen, welche später großformatig
ausgedruckt werden sollen. Wer also nicht hauptsächlich in der (sehr späten oder frühen) Dämmerung unterwegs ist und mit einer maximal 40-fachen Vergrößerung auskommt, für den dürfte das
Kowa TSN-55A der ideale Begleiter in der Natur sein.
Oder in wenigen Worten : Das beste Kompaktspektiv was ich bisher in Händen gehalten habe.
Artikel erschienen am 10.06.2024