Ein Teleobjektiv mit einer Brennweite von 1200 Millimetern bei einer
Offenblende
von f8, braucht man das als Naturfotograf überhaupt? In unseren Breiten sind
Singvögel
recht scheu, und möchte ich diese möglichst unbemerkt (und nicht nur an der Futterstelle aus dem Tarnzelt heraus) fotografieren, so wünschte ich mir schon das ein
oder andere Mal Brennweiten jenseits der 600mm. Ich erinnere mich gerne an meine Digiscoping-Zeiten zurück, wo ich regelmäßig mit Brennweiten von mehr als 2000 Millimetern fotografiert habe - ganz ohne Tarnung und ohne von den
Vögeln
als störend wahrgenommen zu werden.
Aus bestimmt 20 Metern Entfernung konnte ich diesen Neuntöter
beim Sammeln von Nistmaterial beobachten und auch fotografieren. Aufgrund der großen Entfernung hat er mich nicht als störend wahrgenommen und beachtete mich dementsprechend kaum.
Es entstehen hierbei Aufnahmen, welche die Tiere in ihrem natürlichen Umfeld und bei ihrem natürlichen Verhalten zeigen, so als wäre man als stiller und unsichtbarer Beobachter dabei. Zwar kann man scheue
Vögel
auch aus einem Tarnzelt heraus fotografieren, hierbei ist man aber weit weniger flexibel und muss schon von vornherein wissen, wo sich die
Vögel
aufhalten werden. Einen nach Nistmaterial suchenden
Neuntöter
hätte man so mit Sicherheit nicht erwischt - oder es wäre zumindest extrem unwahrscheinlich.
Auch dieses Rotkehlchen
wurde aus ca. 15 Metern Entfernung fotografiert. Zwar war das Rotkehlchen
keineswegs scheu, hatte aber andauernd den Standort gewechselt. Mit einer kleinen Brennweite hätte ich das Rotkehlchen
immer verfolgen müssen. Mit einer größeren Brennweite hingegen kann ein viel größerer Radius erfasst werden, und es reicht häufig, wenn einfach die Ausrüstung
verschwenkt wird, um das Motiv wieder im Bild zu haben.
Und noch einen großen Vorteil hat die Verwendung von langen Brennweiten. Das Motiv muss sich nicht mehr zwingend auf Augenhöhe mit dem Fotografen befinden, denn durch die größere Entfernung zum Motiv, verändert sich auch die Perspektive. Wird ein
Vogel
in 5 Metern Höhe in einem
Baum
mit 1200mm aus etlichen Metern Entfernung fotografiert, so sieht es im Bild so aus, als wäre der
Vogel
auf Augenhöhe. Würde man ihn mit 300mm fotografieren, müsste man so nah an den
Vogel
heran, dass kein ansehnliches Bild mehr möglich wäre.
Nun hat
Canon
also ein
Objektiv
herausgebracht, welches mit einer Brennweite von 1200mm schon fast an die Brennweiten gängiger Digiscoping-Ausrüstungen heranreicht. Unter Verwendung eines 2x Telekonverters erreicht es diese sogar. Das
Canon
RF 1200mm f8 L IS USM müsste somit eigentlich das perfekte
Objektiv
für die
Singvogelfotografie
sein. Ob es eventuell auch meine
Ausrüstung
ergänzen wird, dazu gleich mehr. Kommen wir zunächst einmal zu den technischen Daten des
Objektivs
, welche auch auf der
Canon Website zum RF 1200mm f8 L IS USM
eingesehen werden können.
Technische Daten des Canon RF 1200mm f8 L IS USM
Das
Canon
RF 1200mm f8 ist ein
Objektiv
mit einer festen Brennweite von 1200mm mit einer maximalen
Blende
von f8 und einer einer kleinsten
Blende
von f64. Die optische Konstruktion des
Canon
RF 1200 besteht aus 26 Linsen aufgeteilt in 18 Gruppen. 9 abgerundete Blendenlamellen sorgen wie auch beim RF 600 f2.0 für ein angenehmes Bokeh. Fokussiert wird mittels eines Ring-Ultraschallmotors. In einem Filterfach können Einschubfilter mit einem Durchmesser von 52mm verwendet werden, ebenso wie beim RF 600 f4.0. Der Bildstabilisator kann bis zu 4 Blendenstufen ausgleichen. Eine sehr geringe Naheinstellgrenze von ca. 4,3 Metern macht das
Objektiv
ideal für die
Vogelfotografie
. Bei Ausnutzung der Naheinstellgrenze kann ein maximaler Abbildungsmaßstab von 0,29 erreicht werden. Selbstverständlich ist das
Objektiv
mit einer Stativschelle ausgestattet, in welcher man das
Objektiv
um 360 Grad frei um die eigene Achse drehen kann.
Die Abmessungen des
Canon
RF 1200mm f8 L IS USM betragen 168 x 537mm bei einem Gewicht von 3340g.
Der Autofokus des Canon RF 1200mm f8 L IS USM
Vom optischen Aufbau her erinnert das Canon RF 1200mm f8 L IS USM an ein RF 600mm f4 L IS USM mit einem vorgeschalteten 2-fach Extender. Der Autofokus des
Canon RF 1200mm f8 L IS USM dürfte also in ähnlich schnell und treffsicher sein, wie der eines RF 600ers in Kombination mit einem 2-fach Konverter. Da die Konvertereinheit wohl extra auf das RF 1200er zugeschnitten sein wird, ist zu erwarten, dass die AF Leistung hier sogar noch etwas besser sein wird, als beim 600er mit Konverter.
Dieser Wiesenpieper
wurde mit einem EF 600mm f4.0 L IS USM in Verbindung mit einem EF 2x Extender fotografiert. Dies entspricht der Brennweite und der maximalen Blendenöffnung
vom Canon RF 1200mm f8 L IS USM. Der Fokus sitzt perfekt auf dem Auge des Piepers.
Um grob Einschätzen zu können, wie wohl der Autofokus des
Canon
RF 1200mm f8 L IS USM arbeitet, habe ich während meines Dänemarkurlaubes im März bewusst sehr viel mit dem RF 600mm f8 L IS USM in Kombination mit dem 2x Konverter gearbeitet. Der Fokus traf in der Regel gut, aber es gab deutlich mehr Aufnahmen, bei denen der Fokus "knapp" vor oder hinter dem Auge des Motivs lag. Müsste ich dies in Zahlen ausdrücken, würde ich sagen, dass in etwa 60% der Aufnahmen perfekt fokussiert waren, ungefähr 20 Prozent der Aufnahmen waren OK, also noch brauchbar. Nun erwarte ich von dem Canon RF 1200mm f8 L IS USM einen noch etwas besseren AF, da hier die integrierte Konvertereinheit exakt auf das RF 600 abgestimmt sein dürfte - zumindest ist dies meine Hoffnung. Aber selbst wenn dies nicht so sein sollte, wäre das
Canon
RF 1200mm f8 L IS USM immer noch absolut brauchbar. Auch
Vögel
im Flug waren möglich, allerdings machten es mir die 1200mm nicht einfach, die fliegenden
Vögel
überhaupt erst einmal in den Sucher zu bekommen. Wenn ich es aber geschafft habe, dann schien die Kamera häufiger Probleme haben zu haben, die Schärfe immer exakt nachzuführen. Zumindest war die Trefferquote merklich geringer, als wenn ich das 600er alleine verwendet hätte. An den Aufnahmen selbst war allerdings nicht immer zu erkennen, ob diese fehlfokussiert oder verwackelt waren, oder aber ob Luftflimmern mir einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.
Die Bildqualität des Canon RF 1200mm f8 L IS USM
Meine Erwartungen an die Bildqualität des
Canon
RF 1200mm f8 sind nur mäßig hoch. Da das
Objektiv
sehr stark an ein RF 600mm f4 mit einem integrierten 2x Konverter erinnert, müsste die Bildqualität also auch in etwa in dieser Größenordnung liegen - mit etwas Glück geringfügig besser. Dies untermauern auch die MTF Charts, welche auf der
Canon
Website einzusehen sind. Diese zeigen eine Auflösung des
Canon
RF 1200mm f8 L IS USM, die in etwa vergleichbar mit der des RF 600ers + 2x Konverter ist - mit einer leichten Tendenz zugunsten des Canon RF 1200mm f8 L IS USM.
Diese Feldlerche
wurde mit der R5
, dem 600er und einem 2x Konverter fotografiert. Also umgerechnet mit 1200mm. Die Bildqualität ist durchaus brauchbar, aber in der 1:1 Ansicht ist deutlich zu erkennen, dass die Grenzen der Optik hier so langsam erreicht wurden.
Ein RF 1200mm hat also durchaus seine Berechtigung, wenn man mit kleinen Abstrichen bei der Auflösung leben kann. Eine ähnliche Auflösung erreiche ich aber ebenso bei Verwendung eines 600er
Objektivs
in Verbindung mit einem 2x Konverter, bei gleicher resultierender Brennweite. Die Geldersparnis ist aber enorm, ich würde ganze 10000 einsparen können.
Auch dieses Scvhwarzkehlchen wurde mit dem 600er und einem 2x Konverter aufgenommen. Es ist meine bisher beste Aufnahme eines Schwarzkehlchens
und wäre mit weniger Brennweite nicht möglich gewesen.
Wenn ich allerdings mit dem Canon RF 1200mm f8 L IS USM fotografiere, habe ich die Möglichkeit Brennweite mit einem Konverter auf
2400mm zu erweitern. Das funktioniert mit dem 600er und einem bereits angesetzten 2x Konverter dann nicht mehr problemlos Ein weiterer 1,4x Konverter müsste aber auch hier noch möglich sein. Nur, würde ich das tun? Nein, denn die resultierende Bildqualität bei Verwendung des 600ers mit einem 2x Konverter ist zwar noch OK, aber nicht mehr überragend. Hier dann noch einen weiteren Konverter zu verwenden, würde zumindest für mich nicht mehr in Frage kommen. Das gleiche gilt auch bei Verwendung eines Canon&nbsop;RF 1200mm f8 L IS USM. Auch hier ist die Bildqualität schon ohne Konverter (zumindest laut MTFs auf der amerikanischen
Canon
Website) auf einem Level, welche für mich zwar noch OK ist, aber wo ich
weitere Einbußen in der Bildqualität nicht mehr tolerieren würde. Im Klartext heißt dies, dass ich mit dem
Canon
EF 600mm und den beiden Konvertern auch dass erreichen kann,
was ich mit dem RF 1200mm f8 erreiche. Eine brauchbare Bildqualität bei 1200mm Brennweite. Mit dem 600er habe ich aber noch mehr Möglichkeiten. Nämlich ein
Objektiv
mit 600mm Brennweite und überragender Bildqualität. Und in Verbindung mit dem 1,4x Konverter ein
Objektiv
mit umgerechnet 840mm Brennweite mit sehr guter Bildqualität. Diese beiden Optionen fallen beim Canon RF 1200mm f8 L IS USM nämlich weg.
1200mm Brennweite sind in vielen Situationen zu viel. Dieser Fuchs wurde mit einem 600er + 1,4x Konverter bei 840mm fotografiert. Ich hätte hier sogar noch den Konverter entfernen können (wenn es die Situation erlaubt hätte), um den Fuchs ganz ins Bild zu bekommen. Mit dem 1200 wäre ich deutlich weniger flexibel
gewesen. Hier hätte ich noch nicht einmal ein Kopfportrait hinbekommen. Zudem wäre die Bildqualität mit dem 1200mm um einiges schlechter gewesen.
In Sachen Bildqualität wäre mit das 1200er also als Standalone-Version gerade so eben gut genug, in Verbindung mit Konvertern würde ich es nicht mehr nutzen wollen. 1200mm kann ich
aber auch um einiges günstiger bei ähnlicher Bildqualität mit dem 600er und einem 2x Telekonverter bekommen. Aufgrund der Bildqualität und der geringeren Flexibilität wird das RF 1200 also nicht den Weg in meinen Fotorucksack finden, zumal es auch vom Preis-Leistungsverhältnis für mich absolut nicht stimmig ist.
Haptik, Handling des Canon RF 1200mm f8 L IS USM
Das Canon RF 1200mm f8 L IS USM ist vom Aufbau so gut wie identisch mit dem RF 600mm f4 L IS USM. Kameraseitig ist das
Objektiv
nur um eine Vergrößerungseinheit erweitert worden. Es liegt also nahezu gleich gut in den Hand wie ein RF 600mm in Verbindung mit einem 2x Extender. Das RF 1200 wirkt also dementsprechend sehr wertig verarbeitet. Die Bedienknöpfe sind
gut erreichbar. Wer das 1200 mit einem Filter verwenden möchte, kann 52mm Einschubfilter von
Canon
in ein extra dafür vorgesehenes Filterfach einsetzen.
Das RF 1200mm f8 L IS USM ist aufgrund des äußerst geringen Gewichtes von nur 3,34 kg auch bedingt Freihand einsetzbar, allerdings gestaltet es sich bei einer Brennweite von 1200mm schwierig, das Motiv freihand überhaupt erst einmal im Sucher zu finden. Auch der Bildstabilisator kommt bei diesen Brennweiten langsam an seine Grenzen, zumindest ist dies bei meinem 600mm-Objektiv in Kombination mit einem 2x Konverter so. Der Ausschuss bei Freihandaufnahmen ist dann dementsprechend groß.
Fazit
Eine sehr große Brennweite bei wenig Gewicht, das sind die Dinge die das
Canon
RF 1200mm zu bieten hat. In Sachen Bildqualität kommt es leider nicht an die lichtstarken 600er oder 400er Festbrennweiten heran und erinnert eher an diese Brennweiten im 2-fach-Konverter Betrieb. Eine relativ geringe Nahdistanz ermöglicht auch von kleinen
Vögeln
formatfüllende Aufnahmen. Die Bedienung ist wohl durchdacht und das
Objektiv
ist sehr wertig verarbeitet. Mit einem Preis von derzeit
23.449.- EUR
ist es weltweit eines der teuersten
Objektive
überhaupt.
Wer zwingend mit Brennweiten von 1200mm arbeiten muss, der sollte sich unbedingt auch das
Canon
RF 600mm f4 L IS USM anschauen. Dieses erreicht in Verbindung mit einem 2x Konverter eine identische Brennweite zu einem deutlich günstigeren Preis.
Artikel erschienen am 02.04.2022